Bulletin n. 3/2006
December 2006
CONTENTS
  • Section A) The theory and practise of the federal states and multi-level systems of government
  • Section B) Global governance and international organizations
  • Section C) Regional integration processes
  • Section D) Federalism as a political idea
  • Steinbach Matthias
    'Der Staat hat heute einen unsinnig dicken Bauch'. Politisches Denken und Nationalstaatskritik bei Friedrich Nietzsche
    in Historische Zeitschrift , Band 283, Heft 2: Oktober 2006 ,  2006 ,  319-354
    Nietzsches „politisch-soziale Maikäfer“ verdienen vor allem in ihren konkreten Bezügen zur deutschen Geschichte Beachtung. Zunächst noch am Liberalismus als wohlfahrtsstaatlicher Bewegung orientiert und dem Werden eines deutschen Nationalstaates unter Preußens Führung verpflichtet, änderte sich Nietzsches Stimmungslage nach dem Krieg gegen Frankreich, insbesondere wegen der in seinen Augen verspielten Möglichkeit, vom besiegten Gegner kulturell zu lernen. Angeekelt von ihren „Krankheiten“, unter denen er den neuen Antisemitismus für die gefährlichste hielt, wandte er sich ab von den Deutschen. Die Schweiz und das helvetische Basel mit ihren kommunalstaatlichen Sozial- und Bildungssystemen boten ihm eine Freistätte gegenüber der „Zwangsanstalt des Reiches“. Nietzsches kritische Beobachterperspektive erwies sich hier als die eines Intellektuellen par excellence, der Deutschlands Weg und in gewisser Weise Sonderweg aus Europa wie das nationalstaatliche Prinzip generell bitter beklagte und im Exil des Südens ein feines Gespür für die „Schattenlinien“ (Nipperdey) des Nordens entwickelte. Verbunden mit der Überzeugung eines aristokratischen Liberalismus, wonach Individualität und wirkliche Handlungsfreiheit nur jenseits des Staates, notfalls gegen ihn, durchzusetzen waren, beschwor er unentwegt die Antike (auch und gerade politisch) als Maßstab und Gegenwelt. Nirgendwo sonst zeigte sich Nietzsches radikalliberales Denken deutlicher als im Mißtrauen gegenüber „Mehrheiten“ und jeglicher Form repräsentativer Demokratie. Nietzsches apolitischer und partiell antimilitaristischer Elitarismus schließlich erscheint als etwas höchst Politisches insoweit, als sich daraus die Aufforderung zum Widerstehen und sich Verweigern auch gegenüber jenen „kollektiven Phantasmen“ (Theodor Lessing) ableiten läßt, denen die Entmächtigung des einzelnen und zuletzt die Abschaffung des besungenen „Einsamen“ folgen sollte.
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